Ein Reisebericht von Carmen García, Esther Feith, Henrik Verspohl und Norbert Feith
Dass wir alle bestellten Karten für die Mitglieder der PACG für das Rückspiel FC Liverpool gegen Atlético Madrid bekommen haben war schon unglaublich. Dass wir alle ohne Schwierigkeiten fliegen konnten grenzte schon fast ein Wunder. Und dass das Spiel mit Publikum stattfand, war ein Geschenk Gottes.
In den Zeiten des Coronavirus ist alles anders als normal. Die Sorgen, die Ungewissheit und auch die Angst sind natürlich mitgeflogen. Aber das Spiel an der Anfield Road wollten wir uns (bis auf wenige Ausnahmen, für die wir jedes Verständnis haben) auf keinen Fall nehmen lassen: Atlético hatte ein Rückspiel gegen Liverpool zu bestreiten und das Ergebnis des Hinspiels (1:0) ließ hoffen. Und das im Anfield Stadium! Für viele von uns ging ein Traum in Erfüllung. Denn es ist so wie Esther sagte: Es gibt keinen stärkeren Virus als den Atlético Virus!
Die Reise nach Liverpool
Schon sehr früh am Morgen ging unser Flug nach Manchester. Am Gate trafen sich bereits einige PACG-Mitglieder, die Reihen 16 – 18 des A320 waren fest in unserer Hand. Der Hinflug war also schon rot-weiß und die Stimmung an Bord sehr gut. Wir sind pünktlich gelandet und mit dem Zug weiter nach Liverpool gefahren. Die charmante Stadt zeigte bei der Anreise ein freundliches Gesicht. Sonnenschein, wenn auch mit einer ziemlich frischen Brise im Bereich der Hafenbecken, lud die aus Deutschland angereisten Mitglieder der PACG zu einem Entdeckungsrundgang durch das Zentrum ein. Die Statue der legendären Beatles – spontan dekoriert mit den rojiblanco Schals – war ebenso ein Must see wie das traditionelle Fish and Chips. Dort angekommen waren am Bahnhof bereits viele Colchoneros zu sehen und eine Reporterin von Tele 5 hatte die Gruppe sofort
abgefangen. Auf die suggestive Frage, ob es denn korrekt sei, in Corona-Zeiten hier hinzureisen, konnte es nur eine Antwort geben: „Wir alle sind schon vom Atléti-Virus befallen. Wir sind mutig, aber nicht unverantwortlich“.
Wir konnten noch nicht in unserer Unterkunft einchecken und dachten, dass es zunächst das Beste wäre uns der Stadt bei einem Frühschoppen im Pub zu nähern. Direkt im Zentrum trafen wir auf „The Globe“, einer Kneipe mit praktischen 10% Gefälle zur Straße hin und gemütlicher Patina, in der wir sehr herzlich von Mari Pili (wie wir sie tauften) mit Rücksäcken & Koffern bepackt empfangen wurden und uns zum Anlegedrink niederließen. Den Frauen erlaubte sie sogar Bier zu zapfen. Gefährlich…!
Vorbereitung auf das Spiel
Beim zweiten Pint (oder war es doch schon das Dritte?) tauchte Blacky (der sich dankenswerterweise schon morgens bereit erklärt hatte, im Mannschaftshotel unsere namentlich zugeordneten Eintrittskarten abzuholen) mit den Karten auf und hob die Stimmung auf ein neues Level. Wir waren jetzt ca. 15 PACG-Mitglieder und das ist immer schön und bunt! Beinahe hätten wir aus Versehen noch einen älteren „Local“, der sich zu uns gesellt hatte, mit einem Ticket versorgt; easy going at its best.
Mitten im Zentrum war auch die Kneipe, in der sich die angereisten Atlético Peñas aus der ganzen Welt trafen, dem entsprechend voll war es und wir sahen ein das es dort schwierig werden würde etwas zu essen. Kein Problem: unsere Fish & Chips haben wir schräg gegenüber genossen, wenige Meter entfernt vom Williams Square, dem Platz, an dem die Atlético Fanzone war (neben einem schönen Fanshop des LFC).
Dort war es wie immer: laut, feucht-lustig, bunt und sehenswert. Die Colchonero-Fans sind harmlose Leute, die nur Spaß haben möchten und dabei ziemlich laut sind. Man traf hier und da alte Bekannte, und es war, wie immer, eine Freude sie wiederzusehen und die Previa zusammen zu verbringen.
Doch wir wollten früh am Stadion sein und so machten wir uns langsam auf dem Weg. Zu Fuß war es uns zu weit, also haben wir zwei Taxis geentert und sind gen Anfield gefahren. Wir waren gespannt, wie wir dort wohl empfangen würden. Immerhin hatten die in diesem Jahr erfolgsverwöhnten Reds die Hinspielniederlage wettzumachen. Dennoch: von Aggression keine Spur, bei aller sportlicher und enthusiastischer Rivalität.
Es gibt viele traumhaft schöne Stadien auf diesem Planeten: modernste Hightech-Arenen, höchst anspruchsvolle architektonische Werke… aber kein Fußballtempel ist wie dieser. Die Anfield Road in Liverpool, wo die von Dietmar Hamann so bezeichnete „alte Burg“ steht, hat ihr eigenes Flair. Viele urige Kneipen voller Fans schmücken die Straßen rund herum, die Stimmung war überragend und als Gäste in rot-weiß fühlten wir uns überall willkommen und machten uns keine Sorgen um unsere Sicherheit. Selten haben wir so friedlich miteinander gefeiert. Im Traditionsgasthaus „The Arkles“, kaum einen Steinwurf vom Stadion entfernt, stimmten die Fans beider Lager auf viele gleiche Melodien ihre jeweiligen Texte gemeinsam an. Man zeigte uns Fotos vom Metropolitano, wo sie wenige Wochen zuvor das Hinspiel gesehen hatten und wo sie „so toll behandelt worden seien“. Das ist erfreulich und macht uns sehr stolz, denn das bedeutet Colchonero zu sein! Derweil versank die Welt da draußen in rotem Rauch und dem Licht der Bengalos: Die Mannschaftsbusse rollten am Pub vorbei. Wir tranken Bier zusammen und stießen auf ein gerechtes, aufregendes Spiel an. Football at its best!
Die Sicherheitskontrollen am Stadion waren nicht so penibel, wie wir befürchtet hatten. Nach ca. 20 Minuten Wartezeit waren wir drin. Und dann der Moment in dem man auf die Tribüne gelangt und den Rasen erblickt… dieses Gefühl wird für immer in Erinnerung bleiben.
Der Traum, ein Spiel in Anfield sehen zu können würde wahr. Und dann noch gegen Atlético! Wir konnten unser Glück kaum fassen und waren völlig überwältigt. Der Verein, die ganze Stadt, das ist ein Mythos. Das Stadion ist von Leid und Freude geprägt. Aber das ist nicht alles, was diese Stadt im Nordwesten Englands ausmacht. Hier, wo die Wiege der „Beatles“ stand und heute Jürgen Klopp die Szene rockt. Er gibt den Takt vor. Und alle folgen ihm.
Who cares? Sie haben Klopp, wir haben Gott! Oder besser gesagt, Cholo Simeone. „Ole, ole, ole, Cholo Simeone!!!“ war überall zu hören. Ja, wir waren dabei und ließen uns nicht einschüchtern.
Es war uns allen klar, dass es heiß zugehen wurde. Dass die Hütte brennen würde. Unmöglich, die Emotionen nicht herrauszulassen. Völlig ausgeschlossen. Wir waren hier, um alles zu geben. Die Spieler. Der Trainer. Die Fans. Jeder schien diese Euphorie in sich zu tragen, die sich im Verlaufe des Spieles noch ihren Weg ins Freie suchen sollte. Wir würden uns von der Atmosphäre nicht bremsen lassen: „Atletiiii, Atletiii !!!“
Langsam ging es los. Die Vereinshymne der Reds, das „You’ll never walk alone“, ist legendär. Sie lässt die Menschen vor Ort innerlich kribbeln – egal, wie oft man die Strophen schon gehört hat. Man bekommt schon Gänsehaut, wenn man das im Fernsehen sieht. Aber als Zuschauer live dabei zu sein ist einfach unbeschreiblich. Gänsehaut pur, noch bevor der Ball rollte. Die traditionelle Fußballhymne sangen die Fans aus beiden Lagern mit inbrünstiger Andacht. Mitzusingen, als wären wir alle nur eine Fangemeinde. Dem geliebten Sport zuliebe. Mitfiebern. Weinen. Den Emotionen freien Lauf lassen. Erlebnisse die man niemals vergisst. Alleine für diesen unvergesslichen Moment schon hätte sich die Anreise gelohnt.
Das Spiel
Dann erfolgte der Anpfiff. Liverpool gegen Atlético Madrid, Stadion Anfield Road. Mehr Fußball geht wirklich nicht. Doch unvergessliche Momente sollten noch einige im Laufe der nächsten 120 Minuten kommen. Es waren 120 Minuten voller Emotionen. Der Verlauf des Spiels ist längst bekannt und darum schnell erzählt: erst in der 43. Minuten erzielte „Pool“ das 1:0 und glich das Hinspielergebnis gegen konsequent verteidigende Madrilenen aus. Oblak war zweifelsfrei der Beste in unseren Reihen. Gemeinsam mauerte die Mannschaft das Tor zu. Die Verlängerung musste her! Zwischendurch sinnlose Durchsagen auf Spanisch, man möge sich doch bitte hinsetzen… Zwecklos!
Nach wenigen Minuten schien unser Schicksal besiegelt: 2:0 für die Reds in der 94. Minute, und diese machten keine Anzeichen, sich darauf auszuruhen. Die Prophezeiung von Jürgen Klopp schien sich zu bewahrheiten: „This is Anfield!“
Aber auch den besten passieren Fehler: Jan Oblaks Gegenpart, Adrian, versiebte einen vergleichsweise leichten Abstoß, der bei Joao Felix landete. Das schnelle Spiel auf und ein schöner Distanzschuss von Llorente brachte uns wieder auf die Siegerstraße.
Jetzt mussten die „Reds“ nachlegen. Der Ring angreifender Liverpooler schien sich immer enger um der Atléti-Strafraum zu schnüren. Doch mit den verrinnenden Minuten nahm die Unkonzentriertheit der Gastgeber zu und der kämpferische Mut der Rojiblancos zu. Zwei Konter waren es schließlich, durch Llorente und Morata, die unsere Mannschaft am Ende zum überglücklichen Sieger machte. „Esto es Atleti!“
Wir haben gelitten, gezittert, angefeuert was das Zeug hielt und darüber hinaus… und gewonnen! Mit einer 2:3-Niederlage nach Verlängerung ist Titelverteidiger FC Liverpool aus der Champions League gegen Atlético Madrid ausgeschieden! Ein ungewohntes Gefühl für Liverpool… und Klopp bleibt leider ein schlechter Verlierer.
Er sollte sich seine Fans als Beispiel nehmen, denn wieder spürten wir die englische Fairness: vom Seitenblock spendeten uns Dutzende von Engländern ehrlichen und anerkennenden Applaus. Als faire Verlierer haben sie uns noch im Stadion gratuliert und sich gemeinsam mit uns an „Fernando Toooorreeees!!!“ erinnert. Eine bemerkenswerte Geste, an der sich manch einer in deutschen oder auch spanischen Stadien eine Scheibe abschneiden kann! Wir haben sie auch mit unserem Applaus gewürdigt und die halbe Stunde, die wir nach dem Spiel auf unseren Plätzen warten mussten, haben wir weiterhin gesungen, gesprungen, uns umarmt und vor Freude geweint. Wir waren weiter!
Nach dem Spiel in Manchester
Für die Rückfahrt ins Zentrum stellten wir uns im miesestem Wetter (so eine Art feinkristalliger Eisregen) brav in die Schlange und fuhren mit dem Bus. Dort sind wir in einer viel zu lauten Karaokebar gelandet (sie hatten halt „Mahou“!) und haben den Sieg gefeiert, bis uns Billy Joels „Piano man“ irgendwie sagte, dass es schon spät genug war… doch nicht für Henrik und Peter, die tapfer bis zum Ende blieben, bis das Licht anging und die Rolladen runter :-).
Nach einer kurzen Nacht stand am nächsten Morgen ein für unsere Verhältnisse deftiges, mehr an eine Brauhausplatte erinnerndes „Original English Breakfast“ auf dem Programm. Und schließlich darf man Liverpool nicht verlassen, ohne dem legendären Cavern-Club seine Aufwartung gemacht zu haben. Zu unserer Überraschung spielte hier im Geburtsort der Beatles schon ab 10.00 Uhr morgens ein Sänger mit Gitarre Klänge des Merseysides. Ein schöner und beschwingter Ausklang, bevor es mit einem kurzen Zwischenstopp in der City von Manchester zurück zum Flughafen ging.
Überall hat man uns gratuliert. Man hat sich für uns gefreut und wir sind dankbar dafür, wie gut uns diese Stadt und seine Leute behandelt haben. Gedanklich schon fast in der Luft; noch ein besonderes Boarding. Der Steward freut sich über ein wieder mal ziemlich gut belegtes Flugzeug, in dem die rot-weißen deutlich hervorstechen: „Wir gratulieren Ihnen zum Sieg über Liverpool und wünschen Ihnen einen guten Flug!“ – schallt es durch den Flieger. Auch unser Rückflug lief reibungslos und wir sind alle glücklich und gesund nach Hause gekommen.
Ein rundum gelungener und beeindruckender Trip, an den alle noch lange zurück denken werden! Danke Liverpool für die tolle Zeit! Für euch ist es diese CL-Saison schon vorbei. Für uns geht das Hoffen und Bangen weiter und irgendwie wissen wir, dass ihr uns die Daumen drückt.
Möge das Virus an möglichst vielen vorbeiziehen und die Normalität zurückkehren.
Thank you, Reds! Aúpa Atléti!